Kardiopsychologie: über die Notwendigkeit des Einbezugs psychologischer Faktoren bei der Behandlung kardiologischer Erkrankungen
Im alltäglichen Sprachgebrauch stehen Herz und Psyche miteinander in Verbindung. Das Herz kann emotionale Zustände zum Vorschein bringen und dient der Beschreibung bestimmter Empfindungen. „Es hat mir das Herz gebrochen“, „mein Herz springt vor Freude“ oder „schweren Herzens traf ich eine Entscheidung“ sind bekannte Redensarten, die diese Verbindung ausdrücken.
Die sogenannte Kardiopsychologie ist ein Bereich in der Humanmedizin, der versucht, der Bedeutung dieses Zusammenhangs gerecht zu werden und so eine umfassende Begleitung und Therapie von Herzerkrankten zu ermöglichen. So versucht die Kardiopsychologie Erkenntisse aus den Disziplinen Kardiologie, Psychologie, Psychosomatik, Psychiatrie, Arbeitsmedizin, Soziologie und Gesundheitswissenschaft zu verbinden und ein umfassendes Krankheitsverständnis zu entwickeln.
Dennoch ist es in der Praxis nach wie vor selten, dass insbesondere psychologische Faktoren ausreichend in die Therapie integriert werden. Demnach will die Kardiopsychologie als Schnittstelle zwischen Herz und Psyche fungieren und den psychologisch-psychotherapeutischen Anteil bei Herzerkrankungen vermehrt in der Behandlung in den Vordergrund stellen.
Diverse psychosoziale Faktoren sind bei der Erklärung von kardiologischen Erkrankungen bedeutsam: Das Risiko, eine Herzkreislauferkrankung zu entwickeln wird neben der genetischen Belastung, Diabetes, Alltagsverhalten (Bewegung, Ernährung, Suchtmittelkonsum etc.) auch vom Stressempfinden im beruflichen Kontext, der Qualität sozialer Beziehungen, Partnerschaftszufriedenheit und Partnerschaftskonflikten, sowie der emotionalen Befindlichkeit wie Angst oder Depression erhöht. Umgekehrt verstärken Herzkrankheiten wiederum das Risiko, eine psychische Erkrankung zu entwickeln.
Es ist desweiteren bekannt, dass eine Wechselwirkung zwischen emotionalem Affekt und elektrophysiologischen Abläufen besteht. Starke Gefühlszustände (negative und positive) können Herzrhythmusstörungen auslösen. Allerdings bestehen auch Einflüsse von Herzwahrnehmung auf emotionale Empfindung, sodass alleine das Spüren einer erhöhten Herzrate zu Angstgefühlen führen kann, auch wenn die Herzaktivität aus neutralen Gründen erhöht wurde (z.B. durch körperliche Anstrengung).
Aufgrund dieser vielschichtigen Wechselwirkungen ist in der Abklärung und im Therapieplan von Menschen, die von einer Herzerkrankung betroffen sind, der Einbezug psychologischer Faktoren ein wichtiger Schritt, um eine adäquate, umfassende Betreuung für Betroffene zu ermöglichen. Es ist bekannt, dass bspw. Menschen mit Herzerkrankungen, die an Angstsymptomen, depressiven Symptomen, Anpassungsstörungen, beruflichem Distress oder Beziehungskonflikten leiden, von psychologischer Unterstützung deutlich profitieren. Aktuelle Studien weisen ausserdem darauf hin, dass die Kombination von kardiologischer Behandlung, psychotherapeutischen Gesprächen und Antidepressivagabe den Krankheitsverlauf depressiver Patienten mit einer Herzkreislauferkrankung deutlich verbessern. Verhaltenstherapeutische Interventionen, sowie systemisch-lösungsorientierte Ansätze stehen mit einem besseren Therapieoutcome und erhöhter Lebensqualität von Herzpatienten in Zusammenhang.
Aufgrund dieser Erkenntnisse ist es insbesondere in der Hausarztpraxis bedeutend, das psychische Befinden bei Personen mit Herzerkrankungen zu erfassen und Betroffene über den Einfluss psychosozialer Faktoren auf die Entwicklung der kardiologischen Gesundheit zu infomieren. Erleichtert würde der Einbezug psychischer Faktoren, wenn insbesondere die Konsultationsdauer es erleichtert, betroffene Patienten empathisch auf mögliche Einflüsse und Behandlungsoptionen aufmerksam zu machen.
Quelle:
Sacchetto, M. (2020). Kardiopsychologie in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen – „Wenn das Herz denken könnte, würde es aufhören zu schlagen“. Der informierte Arzt, 11, 20.
Dr. phil. Dipl. Psych. Melanie Braun