Prof. Dr. Klaus Grawe
(1943 – 2005)
Klaus Grawe wuchs in Hamburg auf und studierte nach dem Abitur dort und in Freiburg Psychologie. Nach dem Diplom folgten 10 Jahre an der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg Eppendorf. Es folgten Promotion (1976) und Habilitation (1979). In Eppendorf stellte sich für ihn das erste Mal die Frage nach der wirksamsten Behandlung und der Verbesserung psychotherapeutischer Tätigkeit – eine Frage, die fortan sein Berufsleben bestimmen sollte. Er führte in dieser Zeit bereits eine erste große Vergleichsstudie zur Wirksamkeit von Gesprächspsychotherapie und Verhaltenstherapie durch.
Mit Ende seiner Habilitation erhielt er bereits einen Ruf auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Klinische Psychologie in Bern. Er richtete an seinem Lehrstuhl eine Psychotherapeutische Praxisstelle ein, um Forschungsprojekte durchzuführen und deren Erkenntnisse in der praktischen Ausbildung von Therapeuten nutzbar zu machen. Einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Klinische Psychologie in seiner Heimatstadt Hamburg lehnte er ab, um sich ganz der Therapieforschung widmen zu können. Mit der organisatorisch, personell und wissenschaftlich perfekt gestalteten Praxisstelle besaß er ein Instrument, welches ihm bei seinen Forschungsvorhaben größte Effizienz und Praxisnähe gewährleistete. Hier führte er unter anderem die bis heute umfassendste Metaanalyse zur Wirksamkeit von Psychotherapie durch. Sein Buch «Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession» [Grawe et al., 1994] mobilisierte Psychotherapeuten aller Schulen. Grawe arbeitete heraus, welche Therapieelemente wirksam sind und welche nicht. Es ging ihm darum, über klinische Erfahrung und persönliche Eindrücke hinaus, Psychotherapie empirisch zu untermauern. Das brachte ihm höchste wissenschaftliche Anerkennung, aber manchmal auch Anfeindungen. Dabei blieben unwissenschaftliche, schmerzliche Angriffe nicht aus. Er hat über Jahre geradlinig und couragiert seine Linie verfolgt und damit dazu beigetragen, dass heute eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie zum allgemein anerkannten Standard geworden ist.
Seine Forschung führte er konsequent weiter, indem er den Versuch unternahm, verschiedene Wirkprozesse zu unterscheiden und der therapeutischen Problemlage individuell anzupassen. Seine «Allgemeine Psychotherapie» wurde in der Berner Praxisstelle entwickelt und evaluiert. Sie fand Eingang in die Ausbildung zum Therapeuten und führte zu einer Vielzahl von Untersuchungen zur Überprüfung von Therapieprozessen. Sein auch in die englische Sprache übersetztes Buch «Psychologische Therapie» [1998] brachte ihm hohe Anerkennung und wurde ein internationaler Klassiker, der aufzeigte, wie Schulbarrieren überwunden und wirksame Therapieelemente integriert werden konnten. Bereits 1992 richtete er in der Schweiz einen postgradualen Studiengang Psychotherapie ein, der fortan in Bern und später in Zürich angeboten wurde. In dieser Ausbildung setzte er konsequent seine Vision einer empirischen orientierten Psychotherapie ohne Schulgrenzen um. Es ist schon heute sein Vermächtnis, dass fortan nur eine Psychotherapie ernst genommen werden kann, welche Wirksamkeitskriterien erfüllt.
Die Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen war bestimmt von seiner Persönlichkeit. Mit Ideenreichtum, Elan und Begeisterung initiierte er gemeinsame Projekte, nicht ohne dabei auch die Wahrheit seiner eigenen Konzepte in Frage zu stellen. Andererseits war er eingebunden in sein Praxisteam: Entscheidungen wurden gemeinsam gefällt, Prioritätssetzungen erfolgten in Abstimmung. Klaus Grawe war alles andere als ein «Guru», die hohe Motivation seines Teams war getragen von Menschlichkeit, Akzeptanz und Toleranz. Gemacht wurde nur das, was im Konsens geplant wurde.
Neben seiner Tätigkeit in Forschung und Lehre war Klaus Grawe Mitherausgeber der «Zeitschrift für Klinische Psychologie», Gründungsherausgeber der renommierten Zeitschrift «Psychotherapy Research» und – zusammen mit K. Hahlweg, D. Schulte und D. Vaitl – der Reihe «Fortschritte der Psychotherapie » im Hogrefe Verlag. Er war Präsident der Society for Psychotherapy Research (SPR) und Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Er erfuhr verschiedene Ehrungen, so erhielt er 1999 die Hugo-Münsterberg- Medaille und 2005 den Großen Gottlob Preis, der ihm nun posthum vom BDP im November verliehen wird.
Seine letzte Vision betraf die «Neuropsychotherapie». Im vergangenen Jahr erschien sein gleichnamiges Buch, in welchem er die Nützlichkeit der Neurowissenschaften für eine Verbesserung von Psychotherapie dokumentierte. Er war hier seiner Zeit wieder weit voraus. Er hatte erkannt, dass die Zeit reif ist, um integrative Forschung für die Praxis zu betreiben. Es ging ihm nicht um Laborexperimente oder Grundlagenforschung. Nein, er wollte direkt den Sprung wagen und seine Psychologische Psychotherapie um eine Neuropsychotherapie erweitern. Seine Dynamik wirkte ansteckend, und so planten wir in kürzester Zeit gemeinsam die nächste große Therapiestudie in Bern, um seine neuen Vorstellungen zu überprüfen. Alle Beteiligten wissen, dass wir ihm dieses Projekt schulden, und so wird es in seinem Sinn nun auch realisiert werden. Klaus Grawe kann und wird man nicht vergessen. Er hat mit der Psychologischen Psychotherapie seinen festen Platz in der Geschichte der modernen Klinischen Psychologie eingenommen. Und ebenso gegenwärtig bleibt er uns als streitbarer und versöhnlicher Freund, als kreativer und dynamischer Kollege, bei dem sich Lebensfreude und wissenschaftliche Brillanz trafen und der sich selbst und seinen Überzeugungen stets treu blieb.
Dirk Hellhammer, Trier